(2) Ausflug in die Geschichte von Mariánské Lázně/Marienbad (1918 – 1990)

Der Erste Weltkrieg brachte einen herben Einschnitt in der bisherigen erfolgreichen Entwicklung des Kurbades, doch es trat recht schnell eine Erholung ein. Der Kurbetrieb lebte wieder auf, trotz Inflation stiegen die Besucherzahlen auf Vorkriegsniveau an und erreichten 1929 die bisher einmalige Rekordzahl von 41.226 Kurgästen in einer Saison.

Marienbad war zu dieser Zeit DAS angesagteste Reiseziel für die Berühmten, Schönen und Reichen dieser Welt – nur St. Moritz war damals noch exklusiver!

Die entscheidende Zäsur kam mit dem Zweiten Weltkrieg, der das vorläufige Ende des internationalen Besucherstroms bedeutete. Die Kurstadt blieb zwar im Krieg von Zerstörungen verschont, erlitt aber deutliche Blessuren, an denen das Kurbad noch einige Zeit zu leiden hatte: 1943 wurde die Berliner Charite nach Mariánské Lázně verlegt, weil in Berlin aufgrund der ständigen Luftangriffe der Allierten nicht mehr für die Sicherheit der Patienten garantiert werden konnte. Dafür wurden in Mariánské Lázně insgesamt 90 Häuser – auch Kur-Hotels –   beschlagnahmt.

In dieser Zeit wurde auch der sogenannte „Berliner Friedhof“ (berlínský hřbitov) angelegt, ein Abschnitt des städtischen Friedhofs, auf dem verstorbene Patienten der ausgelagerten Charite, aber auch Soldaten beerdigt sind.

Weitere Belastungen erfuhr Marianske Lazne in der Folgezeit durch die Flüchtlingsströme aus dem Osten: zu dieser Zeit hatten Mariánské Lázně und Úšovice zusammen ca. 12.000 Einwohner, durch die Flüchtlinge hatte sich diese Zahl auf 50.000 erhöht – also mehr als vervierfacht!
Hygienische und Versorgungsprobleme waren die logische Folge.

Am 6. Mai 1945 wurde Mariánské Lázně/Marienbad von der 3. US-Armee unter Führung von General Patton befreit. Somit war für den Kurort der Zweite Weltkrieg beendet, mit den Auswirkungen hatte die Stadt allerdings noch lange zu kämpfen.

Bereits während der letzten Kampfhandlungen des Krieges befanden sich viele deutschböhmische Bewohner auf der Flucht, weitere wurden aufgrund der Beneš-Dekrete in den Jahren 1945/1946 deportiert.

Dafür kamen aus den verschiedensten z.T. weit entlegenen Gegenden der Tschechoslowakei Neubürger in die ehemals mehrheitlich von Deutschen bewohnten Städte und Gemeinden, die allerdings in der großen Mehrheit  keinen Bezug zu dem weltberühmten Kurbad hatten und leider oft auch nicht aufbauen wollten.

1946 wurden die Kureinrichtungen verstaatlicht, und Mariánské Lázně/Marienbad wurde zu einem Kurort den tschechoslowakischen Gewerkschaftsbundes (ROH).

Die Zahl der Kurgäste stieg wieder an, es wurde nunmehr zum Ganzjahreskurbetrieb übergegangen. Das Kur- und Badewesen entwickelte sich weiter, 1952 wurde das Balneologische Forschungszentrum mit internationaler Bedeutung gegründet, an dieser Stelle befindet sich seit 2004 das Hotel Falkensteiner Grand Spa:

In den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts stabilsierte sich die Zahl der jährlichen Kurgäste auf einem recht hohen Niveau (1984: 36.006 , 1985: 37.256, davon jeweils ca. 10% Patienten zur ambulanten Kur).
Wenn man die Urlauber und kurzfristigen Besucher hinzurechnet, kommt man in diesen Jahren auf 200.000 bzw. 1.000.000 Gäste pro Jahr, so dass man davon ausgehen kann, dass wahrscheinlich jeder Bürger der damaligen Tschechoslowakei einmal im Leben Mariánské Lázně/Marienbad besucht haben wird.

Obwohl also der weitaus grösste Teil der Patienten aus der Tschechoslowakei kamen, war der Anteil der ausländischen Gäste doch bemerkenswert: ca. 3.000 Patienten fuhren jährlich aus der damaligen DDR nach Mariánské Lázně/Marienbad, und auch aus der Bundesrepublik Deutschland + Westberlin fanden pro Jahr etwa 700 Kurgäste den Weg ins westböhmische Kurbad, denn für die Behandlung spezieller Erkrankungen des Bewegungsapparates sowie der Nieren und des Verdauungssystems war und ist ein Kuraufenthalt in Mariánské Lázně/Marienbad zu jeder Zeit ein Geheimtipp!

Unser Onkel Conrad Burgold hatte ebenfalls das Glück, sein Nierenleiden hier kurieren zu lassen. Ein paar Erinnerungsbilder von seinen Aufenthalten in den Jahren 1962/63 gibt es noch – hier im dritten Teil dieser kleinen historischen Betrachtung.

Nach der Samtenen Revolution in Herbst 1989  ging es zunächst wiederum  um eine Neuausrichtung des Kurbades. Eine Vielzahl der Gebäude hatte unter der mangelnden Instandhaltung der letzten Jahrzehnte zum Teil stark gelitten, doch die neu entstandenen privatwirtschaftlich arbeitetenden Unternehmen waren nicht mit unendlich viel Kapital ausgerüstet, so dass die Sanierung/Restaurierung der Kureinrichtungen nur schrittweise erfolgen konnte.
Inzwischen findet man aber im Stadtzentrum nur noch sehr wenige sanierungsbedürftige Objekte, und zum Glück ist man beim Stadtumbau recht behutsam und mit dem Hauptaugenmerk auf die Historie der Stadt vorgegangen und hat nicht die Fehler anderer (westlicher) Kurstädte wiederholt.

Doch: HALT beinahe wäre es doch passiert, und im Zentrum von Mariánské Lázně wäre ein Betonklotz – eher wenig zur übrigen Architektur passend –  entstanden. Dazu muss ich ein wenig weiter ausholen.

So mancher Besucher Marienbads wird sich über den seltsamen freien Platz am oberen Ende der Hlavní třída / Hauptstraße Richtung Kolonade hinüber gewundert haben:

Hier befand sich bis zu den Jahren 1977-79 ein Gebäudekomplex von 11 bzw. 12 Häusern, darunter solche namhafte Gebäude wie das Hotel Krym (früher Tepler Haus) und das Hotel Klinger.

Im historischen Stadtplan von 1910 sind die Häuser zwischen Franz-Josefs-Platz und der Stephansstraße eingezeichnet:

Der Zustand dieser Häuser war leider zum Teil bereits nach dem Krieg ziemlich desolat. Notwendige Reparaturen blieben aus, viele der Häuser wurden mit Stützen bzw. zusätzlichen Betonelementen in den Kellern gegen Einsturz gesichert. Einige standen auch schon leer, andere waren noch in Nutzung.

Dazu gibt es eine Anekdote, die uns einmal eine Marienbader Stadtführerin erzählte:

Eine ältere Bewohnerin eines der Wohnhäuser zwischen Mírové náměstí und Jugoslávská schloß eines Tages die Tür zu Bad und Toilette etwas kräftig und wunderte sich über das seltsame Geräusch, was darauf folgte.

Sie öffnete die Tür erneut und:  sah ins Freie!


Fussboden und Aussenwand des Bades waren zusammengebrochen und lagen als Schutthaufen auf der Strasse. Nicht auszudenken, wenn das ein paar Minuten früher passiert wäre. 😮

Naja – eine Anekdote, aber durchaus plausibel…

Der Stadtplan von Mariánské Lázně von Anfang der 80iger Jahre zeigt diese Häuser noch, aber sie werden nicht mehr mit Hotelnamen etc. benannt:

Es wurde also beschlossen, diese Häuser abzureissen, was dann in den Jahren 1977-1979 geschah.

Geplant war, an dieser Stelle einen modernen Kur-Komplex aufzubauen, welches Platz für 900 Patienten bieten sollte.  Auch der Name des Kurhotels stand bereits fest: ARNIKA.

Doch in den 80iger Jahren gerieten diese Pläne ins Stocken, wahrscheinlich fehlte neben der verfügbaren Baukapazität wohl auch das nötige Geld, denn  die genauere Untersuchung des Baugrundes ergab aufgrund der vielen Marienbader Quellen einige geologische Besonderheiten, die zum einen wohl für den desolaten Zustand der früheren Gebäude mitverantwortlich waren, zum anderen aber auch die veranschlagten Baukosten für das geplante Super-Hotel massiv in die Höhe trieben.

Und: es gab auch einige warnende Stimmen, die nicht ohne Grund befürchteten, dass der Bau dieses Hotel (und die damit verbundenen Tiefbauarbeiten) einen noch nicht abzusehenden Einfluß auf die Quellen haben könnte…

Ausgerechnet im geschichtsträchtigen Herbst 1989 gewannen die Pläne noch einmal an Gestalt. Am 09. November war feierliche Grundsteinlegung, und eine Baufirma aus Karlovy Vary begann mit ersten Arbeiten. Das Gesamtvolumen der Baukosten für das neue Hotel wurde in einem Zeitungsartikel mit unvorstellbaren 657 Millionen Kčs (ca. 220 Mio DDR-Mark) benannt! 

Die Bauarbeiten wurden aber dann im Frühjahr 1990 schnell beendet, die schweren Baumaschinen wurden abtransportiert und das Gelände mit einem Zaun abgesperrt.

Später kamen noch zwei  große Tafeln hinzu, die den Besuchern der Kurstadt mehrsprachig erläuterten, dass es sich hier um einen zukünftigen Bauplatz handelt und man sich für den jetzigen Zustand entschuldigt.

Sie sind heute noch zu sehen:

→ weiter zum dritten Teil.